Kurz gefasst
- Der Konflikt im Nahen Osten könnte einen Anstieg der Ölpreise nach sich ziehen.
- Ein Ölpreisschock birgt die Gefahr, dass die Inflation wieder ansteigt und die laufenden Lockerungszyklen der führenden Zentralbanken zum Scheitern bringt.
- Ein möglicher Anstieg des Ölpreises verstärkt das Gefühl der Unsicherheit, das in den letzten Monaten das wirtschaftliche Umfeld geprägt hat.
Der Ausbruch des Iran-Israel-Konflikts hat die Aussicht auf einen neuen wirtschaftlichen Schock geweckt, der zu einem Wiederanstieg der Verbraucherpreisinflation führen könnte.
Israel begann am 13. Juni mit Angriffen auf iranische Nuklear- und Militäreinrichtungen, die der Iran mit mehreren Runden von Raketen- und Drohnenangriffen erwiderte. Es gibt keine Anzeichen für eine Lösung des Konflikts, und die Auswirkungen sind unklar.
Der Preis für die US-Sorte West Texas Intermediate (WTI) kletterte am darauffolgenden Sonntag zum ersten Mal seit Februar über 72 US-Dollar pro Barrel. Auch traditionell sichere Anlagen wie Gold zogen die Aufmerksamkeit der Anleger auf sich. Gold wurde am Freitag rund 1 % höher bei US$ 3.426 je Unze gehandelt und damit in der Nähe des im April verzeichneten Rekordhochs von US$ 3.500.
„Die erneuten geopolitischen Spannungen erinnerten die Märkte daran, dass es mehr zu beachten gibt als nur die Finanzpolitik“, sagt Karen Manna, Portfoliomanagerin und Investment Director of Fixed Income bei Federated Hermes. „Was sich als ein langer Sommer des Wartens auf die (US-)Legislative anbahnte, um den Ton vorzugeben, wurde schnell zu einem viel umfassenderen Thema“, sagt sie.
„Während sich die Inflation in die richtige Richtung zu bewegen schien, sorgten die Aussicht auf höhere Ölpreise und die anhaltende Frage nach dem Zeitpunkt, Grad und Ausmaß der Zollpolitik weiterhin für Unsicherheit“, sagt sie.
Steigt der Ölpreis?
Der Ausbruch des Konflikts führte zu einem sprunghaften Anstieg des Ölpreises, aber es ist noch nicht klar, ob ein anhaltender Anstieg unvermeidlich ist.
Untersuchungen der Europäischen Zentralbank (EZB)1 lassen keinen eindeutigen historischen Zusammenhang zwischen Ölpreisen und geopolitischen Ereignissen erkennen. Tatsächlich bleiben die Ölpreise nach solchen Ereignissen in der Regel noch mehrere Monate lang schwach.
So stieg beispielsweise der Preis für Brent-Rohöl nach den Anschlägen vom 11. September 2001 um 5 %, fiel aber innerhalb von zwei Wochen um 25 %. In ähnlicher Weise stiegen die Preise in den zwei Wochen nach der russischen Invasion in der Ukraine im Jahr 2022 um 30 %, waren aber nach etwa zwei Monaten wieder auf das Niveau vor der Invasion zurückgefallen.
Seit dem anfänglichen Anstieg haben sich die Ölpreise wieder erholt. Am 17. Juni lag der Preis für die Sorte WTI wieder bei 71 US-Dollar pro Barrel.
Abbildung 1: Der WTI-Preis schoss in die Höhe (und sank wieder)
Die EZB weist jedoch auch darauf hin, dass die Risiken für die Versorgung einen erheblichen Aufwärtsdruck auf die Rohölpreise ausüben könnten, wenn die in ein geopolitisches Ereignis verwickelten Länder für die weltweite Ölproduktion von zentraler Bedeutung sind.
Große Mengen Öl werden durch die Straße von Hormuz transportiert, die zwischen Oman und Iran liegt. Da es keine alternativen Schifffahrtsrouten gibt, stellt die Straße von Hormuz einen erheblichen potenziellen Engpass dar.
Im Jahr 2024 und im ersten Quartal 2025 flossen nach Angaben der US Energy Information Administration mehr als 25 % des gesamten weltweiten Erdölhandels durch diese Meerenge2.
Der Seeverkehr wurde infolge der jüngsten Verschärfung der Spannungen in der Region noch nicht eingeschränkt. Sollte das umstrittene Regime in Teheran jedoch versuchen, den Schiffsverkehr in der Meerenge zu blockieren oder zu behindern, könnte dies erhebliche Auswirkungen auf den Ölpreis haben.
Einige Anleger mögen an Bargeld festhalten – dieses ist jedoch den Inflationsschwankungen ausgesetzt.
Auswirkungen auf die Inflation
Ein Ölpreisschock könnte zu einem Wiederanstieg der Inflation führen und den Zinssenkungszyklus der führenden Zentralbanken zum Scheitern bringen.
Die US-Notenbank hat bereits festgestellt, dass der Anstieg der Ölpreise nach dem Ende der Covid-19-Pandemie und dem Einmarsch Russlands in der Ukraine die Verbraucherpreisinflation weltweit erheblich nach oben getrieben hat3.
Der Kampf gegen die Inflation steht nun ganz oben auf der Prioritätenliste der Zentralbanken4, und sollte sich das Inflationsrisiko von „anhaltend“ auf „wiederauflebend“ ändern, dürfte dies die ohnehin schon unsicheren wirtschaftlichen Rahmenbedingungen weiter erschweren.
Laut John Sidawi, Senior Portfolio Manager, Fixed Income, Federated Hermes, sagt, schränkt der jüngste Ausbruch von Marktvolatilität die Auswahl an Optionen für risikofreudige Anleger weiter ein.
„Der Markt wimmelt von Ungewissheit – Strafzölle, hartnäckige Inflation und ein eskalierender Krieg im Nahen Osten – und stellt Anleger vor die Frage, wie sie am besten durch diese unsicheren Zeiten navigieren sollen“, gibt er zu bedenken.
„Einige Anleger mögen an Bargeld festhalten – dieses ist jedoch den Inflationsschwankungen ausgesetzt. Gold ist zwar für seine Eigenschaften als sicherer Hafen bekannt, bietet jedoch kein Ertragspotenzial. Der US-Dollar ist nach wie vor die vorherrschende Weltreservewährung, aber er war in letzter Zeit nicht die effektivste Absicherung gegen Volatilität“, so Sidawi.
„Kurzfristige Anleihen bieten hingegen die Stabilität von Bargeld sowie auch das Potenzial zusätzlicher Erträge (im Gegensatz zu Gold). In Zeiten großer finanzieller Unsicherheit könnten daher Anlagen mit kurzer Laufzeit eine überzeugende Alternative zu traditionellen sicheren Häfen darstellen“, fügt er hinzu.
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